Das Pegasus Project: Über die Handlanger der Machthaber
Meldung von doelf, Montag der 19.07.2021, 20:00:59 UhrDie israelische NSO Group liefert nach eigener Darstellung Cyber-Intelligenz für globale Sicherheit und Stabilität
, darunter die Spionagesoftware Pegasus. Amnesty International sieht in der NSO Group derweil einen Handlanger für autoritäre Staaten und populistische Regierungen, die ihre Gegner verfolgen und mundtot machen möchten. Zuweilen auch ganz tot wie im Fall von Jamal Khashoggi.
Mindestens 180 Journalisten aus zwanzig Ländern bespitzelt...
80 Journalisten von 17 Medienorganisationen haben unter Koordination von Forbidden Stories
und mit technische Hilfe von Amnesty International den Einsatz der Spionagesoftware Pegasus gegen mindestens 180 Journalisten aus zwanzig Ländern - Ägypten, Algerien, Aserbaidschan, Bahrain, Demokratische Republik Kongo, Frankreich, Indien, Kasachstan, Katar, Libanon, Marokko, Mexiko, Ruanda, Spanien, Togo, Türkei, Uganda, Ungarn, Vereinigte Arabische Emirate, Vereinigtes Königreich - aufgedeckt. Zumindest zehn Kunden der israelischen NSO Group sollen die Journalisten als Überwachungsziel ausgewählt haben. Die Telefonnummern der Reporter befanden sich auf einer wesentlich umfangreicheren Liste mit mehr als 50.000 Einträgen, diese Liste soll die von NSO-Kunden gebuchten Überwachungsziele darstellen. Auf 67 Telefonen, die auf Nummern von der Liste registriert waren, konnten Sicherheitsexperten von Amnesty International eine Pegasus-Infektion nachweisen. Mehr als ein Dutzend dieser Telefone wurde von betroffenen Journalisten verwendet.
...oder alles erlogen und eine bösartige Verleumdung?
Die NSO Group gibt sich entsetzt und spricht von falschen Annahmen und unbestätigten Theorien
. Die Quellen hätten Informationen geliefert, die keiner sachlichen Grundlage entsprechen und weit von der Realität entfernt sind
. Man erwäge eine Klage wegen Verleumdung
. Insbesondere die Behauptung, die Daten würden von Servern der NSO Group stammen, sei eine komplette Lüge und lächerlich
. Während die NSO Group den Medien und Forbidden Stories
vorwirft, keinerlei handfeste Beweise vorgelegt zu haben, stützt sich auch die Verteidigung der israelischen Firma alleine auf deren eigene Behauptungen. Wer spioniert, tut das nun einmal im Geheimen und will nicht, dass Details darüber an die große Glocke gehängt werden. Die Firma schreibt nur allgemein, dass ihre Technologien zur Verfolgung von Kinderpornographie, Menschen- und Drogenhandel, zum Aufspüren von Entführungsopfern und Verschütteten sowie zum Schutz des Luftraums eingesetzt werden. Eine Erklärung dafür, wie Pegasus auf den Telefonen der Medienvertreter landen konnte, nennt die NSO Group nicht.
Die Vorfälle in Europa inklusive der Türkei
Tatsächlich verdient die NSO Group ihr Geld mit der Überwachung von Personen, die den jeweiligen Machthabern ein Dorn im Auge sind. Wer für den einen ein Terrorist oder Unruhestifter ist, wird von anderen als Freiheitskämpfer oder Menschenrechtler gesehen. Und da Geschäftsbeziehungen mit den großen Bösewichten dieser Welt auch in Israel nicht gerne gesehen werden, stellen Länder in der Grauzone zwischen einem die Grundrechte aufweichenden Populismus und fortgeschrittenen Autokratien besonders lukrative Partner für die NSO Group dar. Als Beispiel für Ungarns Überwachung von unliebsamen Journalisten wird Szabolcs Panyi von Direkt36 genannt, während Frankreich wohl nur wegen des aus Marokko geflüchteten Hicham Mansouri aufgeführt wird. Dieser dürfte ein Überwachungsziel der marokkanischen Behörden sein. Auch die Türkei wird nur im Zusammenhang mit Khadija Ismayilova aus Aserbaidschan sowie Jamal Khashoggi aus Saudi Arabien erwähnt. Auf die Fälle aus Spanien und dem Vereinigten Königreich geht der Text nicht ein.
Saubere Überwachungswesten oder gewissenlose Mordkomplizen
Khashoggi wurde am 2. Oktober 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet, er hat also nicht direkt mit der aktuellen Enthüllung zu tun, ist jedoch einer der Gründe für die aufbrausende Reaktion seitens der Pegasus-Entwickler. Die NSO Group erklärt gerne und häufig, dass ihre Arbeit Leben rette. Forbidden Stories
stilisiert die israelische Firma derweil zum Mordkomplizen hoch und wirft ihr vor, demokratische Grundwerte zu untergraben. Während der erste Vorwurf auch als Provokation gedacht zu sein scheint, kann man den zweiten als erwiesen erachten. Doch auch hinsichtlich der Komplizenschaft legt Forbidden Stories
noch einmal nach und erzählt das Schicksal des am 2. März 2017 in Mexiko ermordeten Journalisten Cecilio Pineda. Pineda wollte Verbindungen zwischen lokalen Politikern und den Drogenkartellen aufdecken, als er auf der mutmaßlichen Zielliste für Pegasus landete. Gleiches galt für den in diesem Fall zuständigen Staatsanwalt Xavier Olea Pelaez.
Fazit
Auf der einen Seite lesen wir von erschütternden Einzelschicksalen, auf der anderen steht ein gewinnorientiertes Unternehmen, welches aus einem demokratisch regierten Land heraus operiert und nicht ganz so demokratisch gesinnten Regierungen von Drittstaaten Überwachungs-Software verkauft. Es dürfte auf der Hand liegen, wer in dieser Konstellation mit dem Rücken zur Wand steht. Und es dürfte genauso klar sein, dass die von Forbidden Stories
erhobenen Vorwürfe auf Demokratiefeinde und Despoten eher wie eine Werbebroschüre für Pegasus wirken dürften. Zumindest solange keine konkreten Beweise für die Herkunft der Überwachungsliste auf den Tisch liegen. Sollte diese Liste tatsächlich aus einem Leck bei der NSO Group stammen, wäre die Firma samt ihrer Kunden bis auf die Knochen blamiert. Man darf sich nichts vormachen: Die Produkte der NSO Group inklusive Pegasus sind Waffen und lassen sich genau wie Waffen für gute als auch für böse Zwecke einsetzen. Ein Problem entsteht immer dann, wenn solche Waffen aus niederen Beweggründen eingesetzt werden. Und wenn sich der Anbieter die Käufer aus Profitgründen lieber nicht allzu genau ansieht.